Dienstag, 15. Mai 2007

Professorales Denken vs. Vielfalt des Lebendigen (Kapitel 10)

Im zehnten und letzten Kapitel, in dem es um die Selbstaussagen Jesu geht, nennt Benedikt ein weiteres Argument für die Glaubwürdigkeit der Bibel. Er geht damit auf seine theologischen Gegner ein, die angeführt haben, daß Jesu berühmtes Wort vom "Menschensohn" nur da echt und wirklich von Jesus selbst gesprochen ist, wo er vom kommenden Menschensohn spricht, der nicht er selbst ist. Man hat im Unterschied hierzu zwei weitere Redeweisen vom Menschensohn unterschieden, die entsprechend beide für nicht echt gehalten werden.

Benedikt bezeichnet dies als "Zerschneidung" der verschiedenen Worte und sagt, es handele sich hierbei um ein Vorgehen nach "dem strengen Modell professoralen Denkens", welches aber "nicht der Vielfalt des Lebendigen [entspricht], in dem sich eine vielschichtige Ganzheit zu Wort meldet." (Seite 373)

Zu Ehren der Professoren muß man sagen, daß solche Kritik durchaus auch in ihren eigenen Reihen entwickelt worden ist und daß sie ja auch an dieser Stelle von einem Kollegen, Professor Ratzinger, vorgetragen wird. Mir haben hier die Gedanken des Heidelberger Neutestamentlers Klaus Berger, dessen Jesus-Buch Benedikt im Anhang auch prominent erwähnt, immer sehr gut gefallen und seine durchgängige Lehre, daß die Textkritik eines modernen Forschers nicht immer die Wahrheit über den Text herausbringt, immer aber etwas über die Zeit- und Lebensumstände aussagt, aus denen der Forscher spricht. Nicht umsonst, sagt Berger, ist in der modernen Bibelerforschung so häufig von "Redaktion" die Rede. Sie entspricht der Lebensarbeit des modernen Menschen, der an seinem Schreibtisch sitzt, Papiere ordnet und selbst in erster Linie als Redakteur beschäftigt ist. Dieser Mensch kann sich kaum vorstellen, daß nicht etwa auch Matthäus 2000 Jahre früher ganz ähnlich gearbeitet hat, wie er selbst.

Was ist das Gegenteil solchen professoralen Denkens? Nun, es muß etwas mit der "Vielfalt des Lebendigen" zu tun haben, von dem Benedikt hier spricht. Wenn dies bedeutet, daß man von der zerschneidenden Analyse zur ganzheitlichen Synthese kommt, vom Standbild zum lebendigen Film, dann bewegte sich Benedikt mit seinen Gedanken sehr weit in die Zukunft und wäre zu denen zu rechnen, welche die Moderne zu Gunsten einer dynamischen, postmodernen Denkweise überwinden.