Montag, 30. April 2007

Eine Rede ex cathedra (Kapitel 4)

Im vierten Kapitel geht es um die Bergpredigt. Sie ist von der historischen Kritik einstimmig als eine Nicht-Predigt angesehen worden, als später redaktionell zusammengefügte Sammlung gängiger Jesusworte. Man konnte sich nicht ernsthaft vorstellen, daß jemand dem einfachen Volk eine so dichte Abfolge von großen und erhabenen Aussagen in einer einzigen Rede vorgelegt haben sollte. Ich sage ganz offen, daß ich es mir ebenfalls bisher nicht vorstellen konnte, auch nach einer Wanderung von Kapernaum zum "Berg der Seligpreisungen" hinauf nicht.

Benedikt geht auf diese Kritik nicht ein, in diesem Kapitel jedenfalls nicht, sondern stellt Jesus ganz unbefangen dem Gesetzesgeber Mose gegenüber, der ebenfalls vom heiligen Berge, dem Sinai, herunter dem Volk den Willen Gottes vorlegt. Der Berg der Seligpreisungen am See Genezareth ist ein Hügel, nicht hoch und steil wie der Sinai, aber er ist ebenso ein Berg wie dieser, und seine angenehme Lage mitten in einer schönen Natur und mit weitem Blick auf den See sagt indirekt schon etwas darüber aus, welche neue Botschaft Gott jetzt für die Menschen hat.

Jesus redet für Benedikt auf diesem Berg ex cathadra, das ist der letzte Grund für die äußere und innere Form seiner Rede. Vielleicht braucht es einen Papst als Bibelausleger, um eine solche Vorstellung zu entwickeln. Nur wer selbst ein vergleichbares Amt wie Jesus bekleiden darf, kann ihn von innen heraus verstehen. Norman Mailer hat das mit einem ähnlichen, bei ihm allerdings vermessen klingenden Gedanken gesagt. Auch Mailer hatte ja vor etwa zehn Jahren ein Jesus-Buch geschrieben und dazu erklärt, er selbst kenne das Gefühl sehr gut, etwas Größeres in sich zu tragen, weshalb es ihm leicht gefallen sei, über Jesus zu schreiben. Auch für Jesus sei eben charakteristisch, daß er etwas Größeres in sich trage.

Der Heidelberger Theologe Klaus Berger, dessen Jesus-Buch Benedikt im Anhang als wichtige Literatur aufführt, ist bekannt für seine kritische Theorie der Bibelauslegung. Er lehrt, daß die Frage, ob eine bestimmte biblische Schilderung historischer Ereignisse tatsächlich wahr ist oder durch die "Redaktion" späterer Schreiber verfälscht wurde, meist sehr wenig über die tatsächlichen Ereignisse herausbekommt, aber immer sehr viel über den Charakter dessen, der sie beantwortet. Der moderne Mensch an seinem mit Zetteln übersäten Schreibtisch vermutet überall Redaktion, weil sein eigenes Leben das Leben eines Redakteurs ist. Das führt am Ende zu einer manchmal sehr verengten Betrachtung der Bibel.

Vielleicht braucht es tatsächlich einen Papst, um uns in die Weite neuer und besserer Gedanken zu führen.