Wenn Bendikt sich im achten Kapitel dem Johannes-Evangelium zuwendet, dann erweist er sich erneut als der Universitätslehrer, der viele Jahre mit Kollegen in der ganzen Welt gemeinsam geforscht hat und die wichtigsten Veröffentlichungen der letzten Zeit kennt. Er hat das engagierte Gespräch mit seinen Kollegen offenbar nie ganz aufgegeben. Deshalb kann er jetzt in einer wichtigen Passage gewissermaßen eine Zeit lang seinem Tübinger Kollegen Martin Hengel mit zustimmendem Interesse über die Schulter schauen, um ihm dann ganz zum Schluß die Papiere doch mit gelinder Kritik aus der Hand zu nehmen, sie eigenhändig zu bearbeiten und ihm dann ein wenig anders geordnet zurückzugeben.
Hengel hat fünf Quellen für den Bericht des Johannes ausgemacht, und Bendikt stimmt ihm darin zunächst einmal zu: der theologische Gestaltungswille des Autors, seine persönliche Erinnerung, die kirchliche Tradition, die geschichtliche Wirklichkeit und schließlich die Leitung des Geistes. Nun ist Hengel aber kritisch gegenüber der geschichtlichen Wirklichkeit, wie sie Johannes darstellt, und fragt, ob der Evangelist diese Wirklichkeit nicht doch zu Gunsten einer Deutung durch den Geist ein wenig umgeschrieben hat. Nein, sagt Benedikt, so ist es nicht. Diese fünf Quellen sind zwar richtig dargestellt, aber gerade was eine spätere Deutung der geschichtlichen Wirklichkeit (d) durch kirchliche Tradition (c) oder durch die Wirkung des Geistes (e) betrifft, so ist der Weg dazu klar und logisch und verfälscht die geschichtliche Wirklichkeit nicht. Es findet sich hierzu in den Evangelien mehrfach das Erlebnis der deutenden und verstehenden Erinnerung. Sie ordnet und erklärt das Erlebte, ohne es in seinem historischen Wahrheitsgehalt anzurühren.
Benedikt kann den Vorgang dieser verstehenden Erinnerung sehr lebendig und glaubwürdig schildern. Man liest diese Erklärungen aus berufenem Munde gerne, weil sie die immer doch auch als schmerzhaft empfundenen Zweifel der moderneren Theologie an den Berichten der vier Evangelisten relativiert. Ein starker Gestaltungswille im Kopf und Herzen des Berichterstatters muß nicht zwangsläufig dazu führen, daß er seinen Bericht im Widerspruch zur erlebten Wirklichkeit verfaßt.
Benedikt bewegt sich auf dem Boden der modernen Forschung. Er spricht ihre Sprache und kennt ihre Methoden. Aber er folgt ihr nicht in allen Punkten. Im Gegenteil, er greift in ihre Arbeiten mit der Souveränität eines Direktors ein, der einfach nur ein Stückchen weiter sieht als die Damen und Herren seiner nächsten Führungsebene und deren Vorlagen mit wenigen Strichen so korrigiert, daß am Ende ein besseres, ein stimmiges Ergebnis herauskommt. Er ist zwar besonders den evangelischen Kollegen gegenüber natürlich nicht weisungsbefugt, und trotzdem wirkt er an manchen Stellen wie ein Chef bei der Arbeit.
Schön ist sein Hinweis auf den "liturgischen Charakter" des Johannes-Evangeliums. Seine wichtigsten Ereignisse sind an die hohen jüdischen Festtage angebunden, sagt Benedikt, teils indem sie sich an einem von diesen Festtagen ereignen, teils - wie beim Hohenpriesterlichen Gebet in Johannes 17 - indem sie innerlich mit einem Fest (hier dem Versöhnungsfest Yom Kippur) verwandt sind.
Dienstag, 8. Mai 2007
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