Sonntag, 29. April 2007

Von Origines bis Moltmann (Kapitel 3)

Für Benedikt ist die Geschichte der Bibelauslegung eine lange Kette von menschlichen Bemühungen, von richtigen und falschen Wegen und offenen oder eingeschränkten Einsichten. In dieser Geschichte der Erfahrungen mit der Bibel können es durchaus die Irrtümer sein, welche den Fortschritt der Erkenntnis vorantreiben, deshalb geht Benedikt immer wieder sanft und verständnisvoll mit irrenden Kollegen um. Nein, einen Hardliner sieht man hier nicht am Werk, dazu fehlt ihm das schroffe Urteil über Menschen, die anderes denken als er.

Im dritten Kapitel geht es um die basileia, die Königsherrschaft Gottes, das Reich Gottes, wie es meistens übersetzt wird. Die Botschaft, daß das Reich Gottes "nahe herbei gekommen" ist, steht am Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu und später dann in der Mitte seiner Verkündigung. Benedikt machte es sich nicht leicht mit der Antwort auf die Frage, was dieses Reich Gottes bedeutet. Auf 15 der insgesamt 17 Seiten dieses Kapitels referiert und diskutiert er Lösungsansätze von Origines bis Moltmann, um erst dann, ganz am Ende zu der Lösung zu kommen die er selbst vorschlägt: das Reich Gottes ist Jesus selbst.

So, wie Benedikt das sagt, schließt seine Lösung allerdings die anderen Lösungen in gewisser Weise mit ein. Die Ideengeschichte des Christentums gibt Zeugnis vom inneren Reichtum der Menschen, die über Jesus nachgedacht haben. Sie alle gehören zum großen Schiff der Kirche, das sich durch die Zeiten bewegt und am Ende seinen Zielhafen erreichen wird.

Der evangelische Leser geht mit etwas Beklommenheit durch die gedanklichen Türen, die Benedikt ihm öffnet. Hat uns Martin Luther nicht gelehrt, uns ganz allein auf die Schrift, sola scriptura, zu gründen und die kirchlichen Traditionen mit ihren möglichen Irrtümern außer Betracht zu lassen? Ich will diese Frage nicht vorschnell beantworten, sondern sie mir beim Lesen immer wieder einmal stellen. Aber schon jetzt ist klar, daß zu Zeiten Luthers diese Tradition offenbar eher als ein Herrschaftsinstrument verstanden wurde. Bei Benedikt hat sie eine völlig andere, eine dienende Funktion. Das führt Benedikts Betrachtungsweise mit einer gewissen Mühelosigkeit ein großes Stück über Luther hinaus.