Samstag, 5. Mai 2007

Wie endet das Vaterunser? (Kapitel 5.2)

Bendedikt unterscheidet zwischen einer kurzen und einer langen Fassung des Vaterunsers. Die kurze Fassung steht in Lukas 11, die lange in Matthäus 6, sie umfaßt, zusätzlich zur Fassung von Lukas die Worte "dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden" und als zweites "sondern erlöse uns von dem Bösen". Diese längere Version des Matthäus gibt dem Vaterunser die Form, "in der die Kirche es aufgenommen hat und betet" (Seite 167).

Die noch längere Fassung, für mich die "evangelische Version", die sich in späteren Handschriften des Matthäus findet und am Ende auch das "denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen" einschließt, erwähnt Benedikt nicht. Für ihn ist es schlüssig und wichtig, daß dieses einzig in der Bibel dastehende Gebet mit der Bitte um Erlösung von dem Bösen endet.

Deshalb erwähnt er auch die liturgische Sitte vieler Kirchen, diese Erlösungsbitte am Ende durch einen "Embolismus", eine verstärkende Wiederholung, besonders zu unterstreichen. Man betet dann etwa noch zusätzlich "Befreie uns, o Herr, von allen Übeln, vergangenen gegenwärtigen und zukünftigen" und anderes mehr. Dies verstärkt die Aussage, daß die letzte Bitte gleichzeitig auch die wichtigste ist.

Diese Wichtigkeit wird damit begründet, daß für Benedikt das Böse definiert ist als das Feld, welches dort beginnt, wo der Bereich Gottes endet. Der Christ muß sich in seinem Alltag immer wieder an dieser Grenze zwischen den beiden Herrschaftsgebieten bewähren. Er muß eine Art von roter Linie der Liebe Gottes, wie es Benedikt ähnlich an einer anderen Stelle ausgedrückt hat, mitten in der Welt verteidigen, ja ihren Bereich erweitern. So wird die letzte Bitte des Vaterunsers zur zentralen Bitte aller Christen, die ihre Position in dieser Welt auf Gott beziehen und von ihm her bewußt einnehmen.

Diese Bitte öffnet gleichzeitig das Denken in Richtung auf eine tröstliche Vision, mit der das ganze Kapitel schließt: "dass uns der Blick auf den lebendigen Gott nie verstellt werde." (Seite 203)