Mittwoch, 16. Mai 2007

Die Stimme aus dem brennenen Dornbusch (Kapitel 10.1 und Ende)

Der Reichtum des Buches besteht in seinen Verknüpfungen und Rückbezügen auf eine große Anzahl von biblischen Bildern und Berichten, die sich außerhalb der vier Evangelien befinden. Man gewöhnt sich beim Lesen daran, in schneller Folge durch weite Gebiete der Bibel geführt zu werden und merkt besonders beim gelegentlichen Nachschlagen von Belegstellen, wie sehr Benedikt in der Bibel lebt, sie durchdacht und persönlich erfahren hat.

Trotzdem überrascht es, wenn er im letzten Kapitel eines der Worte, das Jesus über sich selbst sagt, so deutet, daß es als direkte Wiederholung des geheimnisvollen Wortes wirkt, welches Mose in der Wüste aus dem brennenden Dornbusch hört. Auf die Frage des Mose, wer es ist, der da aus dem Dornbusch mit ihm redet, bekommt er die Antwort, sein Gegenüber sei der "IchBinDerIchBin" (echjeh-ascher-echjeh, 2. Mose 3,13).

Dieselben Worte wiederholt Jesus, sagt Benedikt, wenn er in Johannes 8,24 seine Zuhörer lehrt "wenn ihr nicht glaubt, daß ich es bin, werdet ihr sterben in euren Sünden". Benedikt deutet dies und eine Reihe von weiteren Ich-bin-es-Worten so, daß Jesus in bewußter Anlehnung an die aus dem brennenden Dornbusch gesprochenen Offenbarungsworte über seine Göttlichkeit spricht.

Der Beweis dafür, daß zumindest die Jünger die Konsequenzen dessen verstehen, was ihnen da gesagt wird, ist der "Gottesschrecken" (Seite 404), der sie überfält, wenn sie Jesu Worte hören. Jeder Mensch hat vermutlich ein intuitives Gefühl dafür, was die Nähe des lebendigen Gottes bedeutet, und reagiert mit heiligem Entsetzen.

Wer erwartet, daß Benedikt am Ende des Buches eine kurze Anleitung "Wie werde ich Christ" einfügt, oder eine Internet-Adresse nennt, über die man den nächsten Priester erreicht, wird enttäuscht. Das Buch endet recht nüchtern und ohne moralisch-sittliche Apelle und wohl auch eher so, daß der geplante zweite Band gleich anschließen kann.

Und trotzdem - der Leser, der Benedikt bis hierhin gefolgt ist und der seinen Schlußfolgerungen (Jesus ist Gott und ist mit einem deutlichen göttlichen Anspruch in dieser Welt aufgetreten) gegenüber offen ist, wird es möglicherweise ebenso erleben, daß auch er in die Nähe der Erkenntnis gelangt, welche die Jünger wie eine fremde Gewalt überfällt.

Und so möchte Benedikt am Ende möglicherweise auch nur diese eine Reaktion im Herzen des Lesers erzeugen, die auch die Reaktion der Jünger war: ein heilsamer Gottesschrecken.

Dienstag, 15. Mai 2007

Professorales Denken vs. Vielfalt des Lebendigen (Kapitel 10)

Im zehnten und letzten Kapitel, in dem es um die Selbstaussagen Jesu geht, nennt Benedikt ein weiteres Argument für die Glaubwürdigkeit der Bibel. Er geht damit auf seine theologischen Gegner ein, die angeführt haben, daß Jesu berühmtes Wort vom "Menschensohn" nur da echt und wirklich von Jesus selbst gesprochen ist, wo er vom kommenden Menschensohn spricht, der nicht er selbst ist. Man hat im Unterschied hierzu zwei weitere Redeweisen vom Menschensohn unterschieden, die entsprechend beide für nicht echt gehalten werden.

Benedikt bezeichnet dies als "Zerschneidung" der verschiedenen Worte und sagt, es handele sich hierbei um ein Vorgehen nach "dem strengen Modell professoralen Denkens", welches aber "nicht der Vielfalt des Lebendigen [entspricht], in dem sich eine vielschichtige Ganzheit zu Wort meldet." (Seite 373)

Zu Ehren der Professoren muß man sagen, daß solche Kritik durchaus auch in ihren eigenen Reihen entwickelt worden ist und daß sie ja auch an dieser Stelle von einem Kollegen, Professor Ratzinger, vorgetragen wird. Mir haben hier die Gedanken des Heidelberger Neutestamentlers Klaus Berger, dessen Jesus-Buch Benedikt im Anhang auch prominent erwähnt, immer sehr gut gefallen und seine durchgängige Lehre, daß die Textkritik eines modernen Forschers nicht immer die Wahrheit über den Text herausbringt, immer aber etwas über die Zeit- und Lebensumstände aussagt, aus denen der Forscher spricht. Nicht umsonst, sagt Berger, ist in der modernen Bibelerforschung so häufig von "Redaktion" die Rede. Sie entspricht der Lebensarbeit des modernen Menschen, der an seinem Schreibtisch sitzt, Papiere ordnet und selbst in erster Linie als Redakteur beschäftigt ist. Dieser Mensch kann sich kaum vorstellen, daß nicht etwa auch Matthäus 2000 Jahre früher ganz ähnlich gearbeitet hat, wie er selbst.

Was ist das Gegenteil solchen professoralen Denkens? Nun, es muß etwas mit der "Vielfalt des Lebendigen" zu tun haben, von dem Benedikt hier spricht. Wenn dies bedeutet, daß man von der zerschneidenden Analyse zur ganzheitlichen Synthese kommt, vom Standbild zum lebendigen Film, dann bewegte sich Benedikt mit seinen Gedanken sehr weit in die Zukunft und wäre zu denen zu rechnen, welche die Moderne zu Gunsten einer dynamischen, postmodernen Denkweise überwinden.

Montag, 14. Mai 2007

Laubhütten bauen (Kapitel 9.1)

Mit dem Abschnitt über die Verklärung Jesu (Seite 353 ff.) kommt das Buch an das Ende des Zeitabschnittes, den es betrachten will, ein zweiter Band mit dem Weg von Verklärung zu Kreuz und Auferstehung soll ja folgen. Es schließt sich zwar noch ein zehntes Kapitel über die Selbstaussagen Jesu, dann ist dieses Buch aber, mit seinen 407 Seiten und weiteren 40 Seiten Anhang, zu Ende.

Schon jetzt fragt man sich, was nach dem Lesen dieses Buches sein wird. Möglicherweise ist die Antwort: eine Lebensentscheidung. Diese Entscheidung könnte in die Richtung gehen, ob man bereit ist, in gleicher Weise zu glauben, schlicht und über viele moderne Zweifel erhaben, wie dieser kluge und doch in vielem so kindlich gläubige "Prof. Dr. Papst ".

Er hat schon in den früheren Kapiteln damit überrascht, wie viele Dinge er für Realität hält, die seine Kollegen von der modernen Wissenschaft in Zweifel gezogen haben. Er hat das oft sehr überzeugend getan und sich dabei gerade der besten Mittel dieser Wissenschaft bedient, um damit deren ureigene Skepsis zu widerlegen. Nun muß sich anhand eines äußerst wundersam Geschehens, der Verklärung Jesu, erweisen, ob die Überzeugungsarbeit Benedikts auch dann noch trägt, wenn jetzt übernatürliche Dinge geschehen, Mose und Elia erscheinen, die Kleidung Jesu zu leuchten beginnt.

Hier hilft kein "warum kann es nicht gerade so gewesen sein, wie die Evangelisten es schildern?". Hier müssen andere Deutungszusammenhänge erschlossen werden, und Benedikt gewinnt sie jetzt mehr und mehr aus der Überzeugung, daß die großen Feste des jüdischen Volkes eine prophetische Dimension haben, die wie das "Warten der Mythen" sich danach sehnend ausstreckt, eines Tages Realität zu werden.

Das Vorbild für die Verklärungsgeschichte ist sukkot, das Laubhüttenfest, dessen Sinn sich jetzt in Jesu Erscheinen real erfüllt, indem das Wort Fleisch wird und "unter uns wohnt", seine Hütte bei uns nimmt. Im Zusammenhang mit der Festtradition erscheinen die Geschehnisse auf dem Berg der Verklärung auf einen neue Weise als sinnvoll, auch das oft als Unverständnis gedeutete Petrus-Wort "laßt uns Hütten bauen" wirkt jetzt richtig und angemessen.

Vielleicht ist das eine besondere katholische Lektion, die man hier lernen muß: wenn man die großen kultischen Feiern nur oft genug wiederholt, dann lernt man das innere Geschehen nach und nach so zu begreifen, daß es einen Bezug zur Realität bekommt. Und hier scheiden sich die Wege: der moderne Skeptiker sieht bestenfalls, daß die Realität aus dem Kult heraus "beschworen" wird, der moderne Gläubige sagt dagegen, daß er die wundersame Realität sieht und sie versteht - und daß er sie deshalb versteht, weil ihn die Feiern darauf vorbereitet haben.

Sonntag, 13. Mai 2007

Pilgern in das Wort hinein (Kapitel 9)

In allen vier Evangelien ist das "Bekenntnis des Petrus" überliefert. In ihm bezeichnet er Jesus als den Messias, in deutlichem Unterschied zu den anderen Zuhörern, die ihn als einen Propheten, etwa Elia, ansehen . Die moderne Bibelwissenschaft hat besonders an dieser Stelle ihre Theorie von den "nachösterlichen" Erkenntnissen der Jünger und damit der christlichen Gemeinde festgemacht. Sie hätten Jesus zu Lebzeiten eben nicht als den Messias erkannt und die spätere Erkenntnis dem Petrus in den Mund gelegt.

Für diese Theorie spricht, daß die vier Evangelien das Bekenntnis des Petrus in jeweils unterschiedlicher Form überliefern. Benedikt hat dagegen von Anfang an deutlich gemacht, daß eines der wichtigsten Anliegen dieses Buches ist, gerade diese Theorie zu widerlegen. Das versucht er natürlich auch in diesem Kapitel.

Anders als in den vorherigen Kapiteln hat sich Benedikt hier aber damit auseinanderzusetzen, daß es eben diese unterschiedliche Form der Bekenntnisse gibt. Er legt seine Interpretation auf eine mich überzeugende und auch sprachlich sehr schöne Weise dar. Die Jünger hätten, sagt er, in ihrer Erkenntnis, daß in Jesus Gott vor ihnen stand, auf Worte des Alten Testamentes zurückgegriffen haben, sie aber nicht "zu einer fertigen Antwort zusammensetzen" können (Seite 351).

Auch nach Ostern wird dieses Bekenntnis zu keiner fertigen Antwort. Der Zweifler Thomas darf seine Hände in die Wundmale des Auferstandenen legen, um dann mit dem Wort zu bekennen "mein Herr und mein Gott" (Johannes 20,28). Aber auch mit einem Wort wie diesem, sagt Benedikt, "bleiben wir immer unterwegs".

Dieses Wort "ist so groß, dass wir es nie fertig erfasst haben, und es bleibt uns immer voraus. Ihre ganze Geschichte hindurch pilgert die Kirche immer neu in dieses Wort hinein, das uns nur in der Berührung mit den Wunden Jesu und in der Begegnung mit seiner Auferstehung fassbar werden kann und uns dann zur Sendung wird." (Seite 352)

Übrigens wird in diesem Kapitel an keiner Stelle darüber gesprochen, daß einer der Jünger durch sein erkennendes Bekenntnis die Qualifikation erlangt hätte, später einmal Oberhaupt der anderen zu werden. Die "Papstfrage" ist in diesem Buch auf eigenartige Weise abwesend. In Benedikts Kirche sind alle Gläubigen aufgerufen, das zu verstehen, zu bekennen und zu leben, was einem Jünger in der Nachfolge Christi aufgetragen ist.

Samstag, 12. Mai 2007

Die Tür zu den Schafen (Kapitel 8.3)

Manchmal lese ich meiner Frau spontan eine Passage aus dem Buch vor, wenn mich etwa - wie heute - die Deutung, die Benedikt einem bestimmten Bibelwort gibt, überrascht und überzeugt hat. Ich las in dem Abschnitt "Die großen Bilder des Johannes-Evangeliums - Der Hirte" die Erklärung, warum Jesus seine Rede vom Guten Hirten rätselhafterweise damit beginnt, sich selbst als "die Tür zu den Schafen" zu bezeichnen (Johannes 10,7, im Buch dazu: Seite 321). Benedikt erläutert dieses Wort auf eine für mich neue, aber sofort überzeugende Weise.

Er sagt: Jesus hat zuvor (Johannes 10,1) vor den falschen Hirten gewarnt, die nicht durch die Tür in den Stall der Schafe gehen, sondern anderswo einsteigen. Dies ist, so Benedikt, auf spätere Hirten hin zu deuten, die in der Zeit nach Jesus die Herde der Schafe möglicherweise auch in Zeiten schlecht weiden werden.

Die guten Hirten dagegen sollen sich später daran erweisen, daß sie "durch Jesus hindurch" als der Tür zu den Schafen gegangen sind. Am besten tun sie das wie ihr Vorbild Petrus, der in Bezug auf die Liebe zu Jesus der bekannten Prüfung von Johannes 21 unterzogen wird. Dreimal muß er die Frage beantworten "Hast du mich lieb?", damit seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt werden, die Weisung auszuführen "Weide meine Schafe!"

Auch seine Nachfolger, und Benedikt meint damit sicherlich nicht nur die Päpste, müssen sich immer wieder fragen lassen, ob sie ihr Hirtenamt so ausrichten, daß ihre Stimme die Stimme Jesu wird. Für einen guten Hirten wird gelten: "weil er in der Liebe mit Jesus geeint kommt, darum hören die Schafe auf seine Stimme, die Stimme Jesu selbst" (Seite 322).

Beim Nachlesen von Johannes 10 merke ich später, daß sich einige Verse in diesem Kapitel der Deutung von Benedikt ein wenig widersetzen. Und trotzdem bleibt der Eindruck, daß Benedikt zielsicher auf den Kern der Rede zugeht und sie für mich überzeugend erklärt, indem er den Bogen zu anderen Stellen der Bibel schlägt.

Er erklärt die Bibel so, wie es auch meine theologisch vielfach ungebildeten pietistischen Vorfahren gerne getan haben. Sie lehrten schlicht: die Bibel erklärt sich durch die Bibel.

Freitag, 11. Mai 2007

Sehnsucht der Mythen (Kapitel 8.2)

In seinem Abschnitt "Die großen Bilder des Johannes-Evangeliums - Das Brot" geht Benedikt auf die Bekehrung des englischen Schriftstellers C. S. Lewis ein. Lewis hatte sich intensiv mit der Entstehung von Mythen beschäftigt und in der Folge die Jesusworte "Das ist mein Leib" entsprechend mythologisch gedeutet. Hier sprach ganz offensichtlich ein weiterer Korn-König. Nun hörte er eines Tages einen Atheisten sagen, daß die Beweise für die Geschichtlichkeit der Evangelien überraschend gut seien. Und ihm kam der Gedanke: "Sonderbare Sache. Das ganze Zeug vom sterbenden Gott - es sieht so aus, als habe es sich einmal wirklich ereignet".

Ja, sagt Benedikt, es gibt lange vor Jesus den Mythos vom Brot als Bild eines göttlichen Sterbens und Wiederauferstehens. Aber das bedeutet nicht (muß man still ergänzen, Benedikt sagt es erst gar nicht), daß ein eher profanes Geschehen um Jesus später mythologisch umgedeutet und überhöht wurde, sondern im Gegenteil: daß die Sehnsucht der Mythen darauf ausgerichtet war, ihren Grundgedanken eines Tages Wirklichkeit werden zu sehen - in Jesus.

"Das Passionsgeheimnis des Brotes hat gleichsam auf ihn gewartet, sich auf ihn ausgestreckt, und die Mythen haben auf ihn gewartet, in dem das Ersehnte Wirklichkeit geworden ist." (Seite 317)

Wieder wird deutlich, ähnlich wie bei der Deutung des Weinwunders in der Hochzeit zu Kana, wie konsequent Benedikt daran glaubt, daß sich in Jesus göttlicher Wille in reale historische Fakten umgewandelt hat. Die Welt hat auf Jesus gewartet, sie hat ihn in ihren Mythen bereits geahnt. Nun ist er da, und uns bleibt nur, ihn als Gottes Wort an uns anzunehmen.

Donnerstag, 10. Mai 2007

Willkommene Unterbrechung

Vorgestern und gestern habe ich wenig im Jesus-Buch lesen können. Ich war auf einem Forum für Bibelübersetzung, zusammen mit Protestanten, Katholiken, Freikirchlern der unterschiedlichsten Richtung - vielen Leuten, die auf eine für mich bisher nicht vorstellbare freie und schöne Art über ihr gemeinsames Interesse an der Bibel vereint waren. Die Tagung stand auch interessierten Laien offen, als ein solcher habe ich teilgenommen.

Ich habe auch hierzu etwas für den Blog geschrieben, möchte es aber nur an diejenigen herausgeben, die sich bei mir diesbezüglich persönlich melden (runkel@runkel.de). Die Veranstaltung ist eine zarte Pflanze, und nicht alle Teilnehmer möchten GOOGLE* verraten, mit wem sie alles an einem Tisch gesessen haben.

*oder genauer: ihren Vorgesetzen daheim. Ich las in diesen Tagen etwas von Woody Allen, das die Spannung zwischen Glauben und Kontrolle in eine witzige Wendung bringt: "I believe there is something out there watching us. Unfortunately, it's the government."